Vettel oder Alonso?

Sebastian Vettel oder Fernando Alonso:

Wer wird Weltmeister 2012?

Alles ist für das grosse Finale angerichtet: Beim Grand Prix von Brasilien fällt die Entscheidung ob Sebastian Vettel oder Fernando Alonso in die Riege der Dreifachweltmeister aufsteigen wird. Seit 1950 haben sich bisher fünf Fahrer dreimal zum Weltmeister gekrönt und sich zu Legenden des Sports gemacht. Das waren Jack Brabham, Niki Lauda, Nelson Piquet, Ayrton Senna und Jackie Stewart. Wer wird am Sonntag das Rennen machen? Vettel hat eine bessere Ausgangsposition, denn er hat 13 WM-Punkte Vorsprung. Rekordweltmeister Michael Schumacher sieht es diplomatisch: "Ich drücke beiden die Daumen und wünsche beiden alles Gute."

Vettel hat nicht nur einen Punktevorsprung, sondern auch eine bessere Ausgangslage für das Rennen. Der Red-Bull-Pilot qualifizierte sich für Startplatz vier und der Spanier wird von Rang sieben angreifen. Und genau unter dem Motto Angriff steht Alonsos Mission. Der Spanier kann nur gewinnen und hat praktisch nichts zu verlieren. Vettel hat dagegen viel zu verlieren, aber auch viel zu gewinnen. "Es ist unglaublich schwierig", kann Pole-Setter Lewis Hamilton die Situation nachvollziehen. "Bei Sebastian habe ich gesehen, dass er unter Druck steht. Ich weiss nicht, wie es Fernando geht, aber beide haben Druck. Fernando muss Punkte aufholen. Es ist sehr schwierig. 80 Millionen Menschen verfolgen Sebastian in Deutschland. Er muss einfach nur ruhig bleiben und das tun, was er am besten kann", rät der Brite. Hamilton ist auch nicht von den Startplätzen der beiden Titelaspiranten überrascht. "Eigentlich nicht. Sebastian ist da, aber vielleicht hatte er nicht sein bestes Qualifying. Er ist aber schnell. Fernando ist ungefähr dort, wo er auch beim letzten Rennen war. Ich habe nichts anderes erwartet."

Ex-Teamchef Eddie Jordan stellt sich auf eine spanische Fiesta ein. "Irgendetwas sagt mir, aber ich weiss nicht was, dass wir einen spanischen Weltmeister haben werden." Das Wetter könnte den Schlusspunkt unter die längste Formel-1-Saison der Geschichte setzen. Für den Grand Prix ist Regen vorhergesagt. "Vielleicht hat Sebastian sich auch ein bisschen auf den Regen für morgen eingestellt", spekuliert Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug bei 'Sky'. "Es ist eine Mutmassung, ich weiss es nicht. Es ist oftmals so in einem Titelshowdown, dass sich alles ein bisschen verschiebt. Aber Alonso Siebter? Damit hätte man auch nicht unbedingt gerechnet. Sebastien Vierter - für beide ist sicherlich noch alles drin, aber Sebastian hat die besseren Karten und dem drücken wir auch die Daumen." Sein Pilot Nico Rosberg sieht es dagegen wie Schumacher nicht parteiisch. "Ich bin neutral, ich gönne es beiden. Es ist mir egal, wer gewinnt." Im Fahrerlager wurde spekuliert, ob sich Alonso voll auf Regen konzentriert, denn bei einem Chaosrennen könnten seine Chancen steigen.

Setzt Alonso auf den Regen?

Der Spanier meinte: "Ich weiss, dass wir zumindest unter normalen Umständen nicht die Chance haben, um den Sieg zu kämpfen." Herausstellen wird sich das allerdings erst im Laufe des Rennens. "So etwas kann ich von der Boxenmauer aus nicht erkennen.", nimmt McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh den Spekulationen den Wind aus den Segeln. "Ich vermute aber, dass eigentlich alle möglichst viel Abtrieb gefahren sind. Ich glaube kaum, dass irgendjemand etwas an Downforce zurückgehalten hat. Will man voll auf nasse Bedingungen gehen, dann kann man noch an der Kühlung in allen Bereichen etwas machen. Wenn man auf Regen setzt, dann bringt man möglichst viel Traktion ins Auto. Das bedeutet, dass man hinten etwas weicher fährt." Jenson Button merkt aber an: "Wir machen heutzutage eigentlich keine speziellen Regensetups mehr. So etwas braucht es einfach nicht mehr. Wenn man sein Auto unter normalen Bedingungen optimiert hat, dann ist es auch im Regen okay. Vor allem, wenn es - wie hier - eine Strecke ist, wo man sowieso mit vollem Abtrieb fährt, dann hat man sowieso kaum noch Mittel zur Verfügung, etwas zu ändern." Button und Hamilton haben in ihrer Karriere einen WM-Titel gewonnen. Vettel ist deutlich jünger und hat seinen dritten Titel zum Greifen nahe. "Was soll man zu seiner Entwicklung schon sagen?", meint Hamilton. "Er hat in den vergangenen Jahren den Titel geholt. Ich mag nichts dazu sagen, wie er ist oder wer er ist - er ist Weltmeister. Er macht einen guten Job."

Button findet: "Wenn ich ihn jetzt im Vergleich zum ersten Titeljahr 2010 sehe, dann ist seine Konstanz besser geworden. Früher hat er sich ein paar Fehler geleistet, aber er hat mit den Jahren an Selbstbewusstsein gewonnen. Man kann das an der Konstanz seiner Leistungen sehen. Natürlich darf man dabei nie vergessen, dass er auch jederzeit ein tolles Auto hatte." Noch 71 Runden werden in der Formel-1-Saison 2012 absolviert. Danach wird feststehen, wer der sechste Dreifachweltmeister der Geschichte ist.

Vettel, Alonso und das letzte Rennen der Saison


Heisst es am Fussball-Stammtisch im Laufe eines jeden Abends zwangsläufig, der Pokal habe seine eigenen Gesetze, könnten die Formel-1-Fans das über WM-Finals behaupten. Denn in der Theorie scheint der Showdown zwischen Sebastian Vettel und Fernando Alonso um die dritte Krone der Karriere heute Nachmittag in Sao Paulo eigentlich eine klare Angelegenheit. Doch das Problem des Deutschen und die Chance des Spaniers: Autorennen werden nicht auf Papier, sondern auf Asphalt bestritten.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass sich Vettel im Qualifying einen Vorteil erarbeitet hat. Er startet von Rang vier, während Alonso seinen Boliden von Position sieben aus nach vorne bringen muss. Hält der Heppenheimer seine Position, ist unabhängig vom Resultat des Gegners alles klar. Und kommt er vor dem Mann aus Oviedo ins Ziel, ist die Messe ohnehin gelesen - genau wie bei einem Ausfall beider Aspiranten. Klar, dass Vettel mit seinem Startplatz nicht unglücklich ist: "Wir sind noch immer verdammt konkurrenzfähig", sagt er.

Vettel setzt auf Abteilung Attacke

Geschlagen geben mussten sich er und sein vor ihm startender Teamkollege Mark Webber am Samstag nur den "Chrompfeil"-Piloten Lewis Hamilton und Jenson Button. "Der McLaren ist schon das ganze Wochenende über schnell, das haben wir vor dem Qualifying erwartet", gibt sich Vettel gelassen. Denn selbst, wenn er an die beiden Briten nicht herankommen sollte, stünden die Chancen gut - aber daran denkt er gar nicht: "Sobald die Ampellichter ausgehen, attackieren wir die Jungs an der Spitze."

Attacke muss auch Alonsos Devise sein. Denn der Ferrari-Pilot hat keine Chance auf den Titel, wird er nicht mindestens Dritter. In diesem Fall dürfte Vettel über Rang zehn nicht hinauskommen. Ein zweiter Platz des Spaniers ist dann gleichbedeutend mit dem Titel, wenn Vettel höchstens Achter wird. Der Sieg in Brasilien schmeckt dann besonders süß für Alonso, erreicht der Red-Bull-Star das Ziel nicht unter den besten Vier. Helfen soll bei diesem Unterfangen der Wettergott: Wasser marsch!

Ist Regen wirklich Alonsos grosse Chance?

Alonso, dem die Wetterprognosen mit einem aus Argentinien aufziehenden Tief über Sao Paulo Mut machen, erklärt unumwunden: "Im Trockenen sind wir nicht konkurrenzfähig, aber bei Nässe ist das Auto gut." Jedoch stellt der 31-Jährige eine Rechnung mit Unbekannten an. Die jüngsten Fahrten im Regen fanden in den Freien Trainings von Hockenheim und Silverstone statt - zu einem Zeitpunkt, als der F2012 noch in einer ganz anderen Konfiguration und ohne viele Updates unterwegs war.

Für Vettel spielt es dagegen keine Rolle, was ihm die Wetterfrösche prophezeien. Er bleibt bei seiner Devise: "Wir müssen hungrig und angriffslustig sein. Nicht zu viel nachdenken und nachher die falschen Entscheidungen treffen." Und keine Rechenexempel anstellen, die umgekehrte Vorzeichen zu Alonso aufweisen. Das heisst: Bleibt für ihn nur Rang fünf, sechs oder sieben, muss er hoffen, dass der Spanier nicht gewinnt. Auf Platz acht oder neun wäre Vettel dann Champion, wenn Alonso maximal Dritter wird.

Wer kann sich auf den Teamkollegen verlassen?

Diese Szenarien haben eines gemeinsam: Sie setzen voraus, dass Vettel Positionen verliert. "Wir haben Spiegel am Auto, aber hoffentlich müssen wir sie nicht benutzen", entgegnet der Deutsche, der sich über das Wetter nicht den Kopf zerbrechen will: "Ich erwarte gar nichts." Offenbar auch nicht von Teamkollege Webber: in Sachen Schützenhilfe. "Mark fährt seinen Grand Prix, ich fahre meinen. Deswegen sind wir hier. Um Rennen zu fahren, um gegeneinander Rennen zu fahren." Bei Ferrari sieht das anders aus, wie der Schachzug mit dem gebrochenen FIA-Siegel am Getriebe Felipe Massas in den USA eindeutig zeigte. Alonso sieht diese Stallregie nicht als solche, sondern als taktisches Manöver im Kampf gegen McLaren in der Konstrukteurs-WM: "In Austin war das eine einfache Entscheidung. Wir haben sie nicht getroffen, um mich nach vorne zu bringen, sondern, um beide Autos auf gute Startplätze zu stellen." Wegen der dreckigen Spur. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Regenüberraschungen eher unwahrscheinlich

Doch selbst wenn Felipe Massa, beim Heimrennen offenbar in Topform und heute auf Startplatz fünf, für den Chef nicht per Strafversetzung, sondern konventionell auf der Strecke Platz macht: Alonso muss an weiteren Autos vorbei. Und das dürfte mit dem F2012 kein leichtes Unterfangen werden: "Wir waren schon im Trockenen mit dem maximalen Abtrieb unterwegs. Da wird es im Nassen keine grosse Umstellung", legt Alonso nahe, dass der Regen vielleicht gar nichts auf den Kopf stellt. Hinzu kommt, dass sich die Meteorologen mit ihren Prognosen für Sao Paulo schon weit vor Samstag so sicher und einig waren, dass alle Fahrzeuge über ein regentaugliches Setup verfügen dürften. "Ich glaube nicht, dass heute jemand groß gepokert hat", spekuliert Alonso. Und auch bei Red Bull dürfte man genügend Grips am Kommandostand versammelt haben, um richtige Entscheidungen zu treffen. "Es sind mehr Fahrer hinter uns als vor uns. Es gibt morgen eine Menge taktische Möglichkeiten", warnt Vettel.

Teamgeist gegen Routine

Alonso hält mit dem entgegen, was ihn schon die gesamte Saison über auszeichnet: Herz, Kampfgeist und der Unwille, aufzugeben. "Wir sind hier und kämpfen um die WM, obwohl wir ein Auto haben, das in den vergangenen Rennen nicht funktioniert hat. Das ist doch nicht normal. Darauf bin ich stolz und mir gefällt, was wir erreicht haben." Durchhalteparolen? Vielleicht. Eine Motivation für die Ferrari-Familie, die ihren Teamgeist seit Wochen als Kapital darstellt? Ganz bestimmt. Alonso beteuert, die Saison wegen ihrer starken Sonntage in Erinnerung zu behalten - unabhängig von dem, was Sao Paulo bereithält. Er habe schon gewonnen, redet er sich und der Formel-1-Welt ein. Er wird nimmer müde, diese Aussage zu wiederholen. Vettel muss dagegen erstmals einen Vorsprung in einem WM-Finale verteidigen. "Das Rennen angehen wie die vergangenen 19 auch", klingt es aus der Red-Bull-Dauerschleife. Aber WM-Finals haben eben ihre eigenen Gesetze. Eine Floskel, zugegeben, aber deshalb vielleicht nicht weniger wahr.

Welche Rolle spielt Massa im WM-Showdown?


Für Sebastian Vettel ist sein Fahrplan zum dritten WM-Titel theoretisch einfach: Der Deutsche muss einfach nur vor Fernando Alonso ins Ziel kommen und der Sieg ist seiner. Da der Red Bull RB8 dem Ferrari F2012 überlegen ist, sollte die Aufgabe machbar sein. Die Formel-1-Geschichte hat allerdings schon oft gezeigt, dass alles passieren kann. Sollte Alonso nicht ausfallen, dann fällt die Entscheidung erst nach 71 langen Rennrunden. Auf dem Weg dorthin muss Vettel viele Aufgaben meistern. Viele liegen in seiner Hand, andere wiederum nicht.

Der Heppenheimer hat sich für den vierten Startplatz in der zweiten Reihe qualifiziert. Direkt nach dem Start wartet das enge Senna-S auf das Feld. Es war schon der Schauplatz vieler Startkollisionen. Vettel könnte sich auch einen Ausfall leisten, aber Alonso dürfte bei diesem Szenario nicht besser als Vierter werden. Der Spanier muss mindestens Dritter werden, um den Titel zu holen. Alles andere würde ihm nicht helfen. Für Platz drei werden 15 Punkte vergeben. Sollte Alonso Dritter werden, dann würde Vettel einen achten Platz brauchen. Bei jeder schlechteren Platzierung oder einem Ausfall wäre Alonso Weltmeister.

Zuletzt in Austin wurde deutlich, dass Ferrari jede noch so kleine Chance nutzt, um den Titel zu gewinnen. An Felipe Massas Ferrari wurde das Siegel beim Getriebe gebrochen, wofür er um fünf Startplätze zurückversetzt wurde. Dadurch rückte Alonso nicht nur um eine Platz nach vor, sondern noch viel wichtiger auf die bessere Seite der Startaufstellung. Die Rennergebnisse gaben Ferrari recht. Unter dem Strich zählt nur der WM-Titel. Wie man Weltmeister geworden ist, ist im Endeffekt egal.

Erinnern Sie sich noch an das WM-Finale von 1964 in Mexiko City? Ferrari-Pilot Lorenzo Bandini verursachte damals eine Kollision mit dem damals WM-Führenden Graham Hill (BRM). Hill konnte zwar mit Rundenrückstand weiterfahren, aber seine Chance war praktisch dahin. In der letzten Runde lag Surtees direkt hinter seinem Teamkollegen Bandini auf Platz drei. Surtees musste aber unbedingt Zweiter werden. Es kam noch zum Platztausch und Surtees wurde Weltmeister. Wie der Titel zustande gekommen ist, darüber wird heute kaum noch gesprochen. Surtees ist als einziger Motorrad-Weltmeister in die Geschichte eingegangen, der auch Formel-1-Weltmeister wurde. Auch in der Gegenwart würde Alonso ein Ausfall seines Konkurrenten helfen. Wird Massa zum Zünglein an der Waage? "Wichtig ist, dass wir vor Massa bleiben", erkennt auch Red-Bull Motorsportkonsulent Helmut Marko in der 'Sport Bild' die Gefahr.

Ex-Formel-1-Pilot Jacques Laffite merk an: "Ferrari hat nichts mehr zu verlieren, Vettel alles. Sollte er Massa überholen, muss er extrem vorsichtig sein." Und das WM-Finale findet ausgerechnet in Sao Paulo statt. Es ist praktisch Massas Paradestrecke. Auch im Qualifying war der Lokalmatador schneller als Alonso und wird vom fünften Startplatz aus ins Rennen gehen. Damit hat Vettel die rote Rakete praktisch am Heck kleben. Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali will aber ein sauberes WM-Finale sehen und merkt gegenüber der 'Sport Bild' an: "Das würden wir niemals machen." Vettel selbst sieht von Massa keine grosse Gefahr ausgehen. "Ich glaube, da brauchen wir uns keine Sorgen machen. Wir konzentrieren uns auf unseren Start. Die Starts waren in letzter Zeit sehr gut. Der Blick richtet sich nach vorne. Wir haben zwar Spiegel am Auto, doch wir hoffen, sie nicht zu sehr benutzen zu müssen", meint der 25-Jährige. "Dann wird man sehen, was passiert. Es ist ein langes Rennen. Hier kann immer viel passieren."

25.11.2012